"Es ist geschehen,
und folglich kann es
wieder geschehen:
Darin liegt der Kern dessen,
was wir zu sagen haben."
Primo Levi (1919-1987), italienischer Schriftsteller und Auschwitzüberlebender
"Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist."
Dieser Satz aus dem Talmud ist der Leitgedanke für die Arbeit des Künstlers Gunter Demnig. Mit "Stolpersteinen" soll an die Menschen erinnert werden, die in den Jahren 1933 bis 1945 Opfer von nationalsozialistischer Verfolgung und Gewalt wurden.
Stolpersteine sind kleine Betonquader von 10 cm Seitenlänge, die mit einer Messingtafel versehen sind. Namen und Daten der Opfer werden auf der Oberseite eingeschlagen. Die Quader werden auf dem Gehweg vor dem letzten selbstgewählten Wohnhaus eingelassen.
Seit 2002 gibt es den Arbeitskreis Geschichte der Juden in der Samtgemeinde Bersenbrück, der unter anderem jährlich eine Gedenkfeier am Holocaustgedenktag - dem 27. Januar - ausrichtet. Auf seine Arbeit geht die Errichtung der Gedenkstele "Euer Name lebt" am Bahnhof im Jahr 2005 zurück.
Um eine offene Diskussionüber die Verlegung von Stolpersteinen anzuregen, organisierte der Arbeitskreis 2016 eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit der VHS Bersenbrück. Hier wurde das Konzept von Stolpersteinen vorgestellt und gefragt, ob Stolpersteine auch in Bersenbrück eine sinnvolle Art des Gedenkens sein könnten. Dies war die Geburtsstunde des Initiativkreises. Nach intensiver Diskussion beschloss er, die Arbeitsschritte durchzuführen. Die für die Verlegung notwendige Zustimmung des Rates der Stadt Bersenbrück war einstimmig.
Zwischen 2011 und 2018 wurden im Gebiet des Altkreises Bersenbrück 118 Stolpersteine verlegt. Jetzt folgt Bersenbrück mit sechs Stolpersteinen.
Erinnerungsorte an jüdisches Leben in Bersenbrück
Die Geschichte der Familie de Levie
Eduard de Levie ist ein lustiger, geselliger Kerl. Er ist
bis zu seiner Hochzeit Mitglied im Katholischen Gesellenverein
(Kolpingwerk), spielt dort gerne Theater,
singt im Gemischten Chor und engagiert sich im
Schützenverein.
Er wächst in Bersenbrück auf und
hat immer etwas zu tun. Er absolviert die Schule und
erlernt dann den Beruf seines Vaters Benno, Viehhändler.
Als junger Mann verliebt er sich in Bertha Steinburg
aus Haselünne. Eduard hat Glück, denn Bertha gefällt
der humorvolle junge Mann.
Sie kommt aus einer großen,
wohlhabenden Familie und zieht nach der Heirat
mit ihm zusammen in eine Wohnung in Bersenbrück.
Zwei Jahre nach der Hochzeit werden sie Eltern einer kleinen Tochter,
die sie Erna nennen. Es läuft gut bei der jungen Familie.
Eduard ist (Vieh-) Händler und hat ein gutes Auskommen.
Nach zwei Jahren bekommt Erna einen kleinen Bruder, Siegfried.
Die Wohnung an der Kuhstraße wird zu klein und die junge Familie
kauft ein Haus an der Bramscher Straße.
Kurz nach dem Einzug beginnt eine schwierige Zeit: In Europa herrscht Krieg, und Eduard wird als Soldat eingezogen. Bertha bleibt mit der zweiährigen Erna und dem Säugling Siegfried daheim. Das Geschäft, das viel Herumreisen in der Region erfordert, kann sie nicht ohne Weiteres fortführen, weil sie die Kinder und den Haushalt versorgen muss. Die finanzielle Lage ist schwierig, die Hypothek für das Haus kann nicht so schnell abgezahlt werden wie vorgesehen, und die andauernde Sorge um den geliebten Mann im Krieg machen diese Zeit zu einer Herausforderung.
Eduard wird im Krieg verwundet und kommt in ein Lazarett.
Leider ist mit dem Kriegsende nicht alles wieder beim Alten. Eine Wirtschaftskrise schüttelt den Kontinent, aber Eduard und Bertha versuchen, den Kopfüber Wasser zu halten. Die beiden arbeiten hart im Geschäft, und Bertha achtet darauf, dass die Kinder eine gute Ausbildung bekommen. Sie besuchen die Evangelische Volksschule in der Nachbarschaft ihres Elternhauses. Die Familie ist gesellig: Freunde, Verwandte und Mitglieder aus der Synagogengemeinde in Quakenbrück sind gerne zu Besuch.
Nachdem beide Kinder die Rektoratsschule in Bersenbrück absolviert haben, schließt sich für die kluge Erna die Ursulinenschule in Haselünne an. Sie wohnt dort bei ihren Verwandten. Danach folgt die Oberschule in Osnabrück, auf der Erna Französisch, Englisch, Hauswirtschaft und Handarbeitsunterricht bekommt.
Nach Übernahme der Macht durch die Nationalsozialisten erlebt die Familie immer wieder Formen von Ablehnung.
Eines Abends wird Erna in der Lindenstraße von zwei jungen Männern unvermittelt vom Fahrrad gestoßen und angegriffen. "Du Judenmädchen, verschwinde aus Bersenbrück!", rufen sie ihr zu. Sie kennt die Täter und ihre Familien gut. Tief getroffen möchte sie nur weg von diesem Ort und so viel Abstand wie möglich zwischen sie und dieses hässliche Erlebnis bringen. Sie nimmt Kontakt mit Verwandten des Vaters in Rotterdam auf und packt ihre Sachen. Die 26-jährige steigt in den Zug und kann in den ersten Tagen in Rotterdam Unterschlupf finden, bevor sie weiterreist nach Amsterdam, um dort eine Anstellung als Hausmädchen zu suchen.
Erna hat Glück, sie findet schnell eine Beschäftigung und eine Wohnung. Sie baut sich dort ein neues Leben auf, weit weg von dem traumatischen Erlebnis in ihrer Heimat. Einige Jahre später trifft sie den Immobilienmakler Louis Wessels. Die beiden werden ein Paar, heiraten und leben zusammen in Amsterdam.
Siegfried geht nach der Mittelschule in die Lehre bei einem Kollegen des Vaters in Lippstadt und lernt dort das Zucht- und Fettviehgeschäft. Er soll später das Geschäftübernehmen.
Nach Abschluss seiner Ausbildung kehrt er nach Hause zurück und hilft im Familienbetrieb. Die Eltern freuen sichüber die Unterstützung des Sohnes, insbesondere seitdem die Tochter in Amsterdam lebt und die politische Situation in Deutschland immer brenzliger wird.
Beunruhigende Nachrichten erreichen die Familie in Bersenbrück. Die dreiüberlegen gemeinsam, ob Siegfried nicht besser nach Amerika auswandern solle, wie so viele junge Männer es in diesen Jahren tun.
Ein Jahr, nachdem Erna ihre Heimat Richtung Amsterdam verlassen hat, entscheidet sich auch Siegfried zur Emigration. Es müssen viele Formulare ausgefüllt und genehmigt werden. Eine entfernte Verwandte des Vaters in den USAübernimmt eine Bürgschaft. Sie ist Voraussetzung dafür, dass Siegfriedüberhaupt ein Visum für die USA bekommt. Die vielen Botengänge und Korrespondenzen ziehen die Zeit bis zur Abreise in die Länge. Glücklicherweise bietet sich noch kurz vor Eintreffen der nötigen Formulare die Möglichkeit, einen Internationalen Führerschein zu erwerben. Siegfried nutzt die Chance, und das wird sich später auszahlen. Schließlich bekommt Siegfried die Genehmigung, nach Antwerpen zu reisen. Das Visum ist zwei Tage gültig, und er muss sich innerhalb dieses Zeitfensters bewegen oder seine Papiere verfallen. Mit schwerem Herzen und nur wenig Geld tritt er von der belgischen Hafenstadt die lange Seereise an.
Er geht Mitte November in Hoboken, New York, an Land. Er wird registriert und von seiner entfernten Verwandten und ihrem Mann abgeholt.
Zuerst kann er ein paar Tage bei ihnen bleiben, dann mietet er sichein Zimmer und sucht eine Gelegenheitsarbeit.
Getrennt von seinen Eltern und Freunden, umgeben von einer fremden Sprache und gleichzeitig immerfort auf der Suche nach Arbeit, die an diesem neuen Ort nicht leicht zu finden ist, wird es eine harte Zeit. Endlich, es dauert ein volles Jahr, bekommt er eine befristete Arbeitserlaubnis in Florida. Hier ist der kurz vor der Immigration bestandene Führerschein von großer Hilfe.
Über Abendkurse bildet er sich weiter und erhält fünf Jahre nach seiner Ankunft in New York die amerikanische Staatsbürgerschaft. Kurz darauf verpflichtet er sich bei der Armee, wird zum Elektriker ausgebildet und mit einer Luftwaffeneinheitüber den Pazifik geschickt. Erändert zwar seinen Vornamen von "Siegfried" zu "Sidney" und passt sich an, aber seine Gedanken sind viel in Europa bei seinen Eltern und seiner Schwester, denen er nicht helfen kann. Sie schreiben sich viele Briefe, von denen einige jedoch nicht ankommen. Sie dürfen auch keine traurigen oder zu persönlichen Nachrichten enthalten.
Für Eduard und Bertha wird es immer schwieriger in Bersenbrück. Als eines Nachts vor ihrem Haus hässliche Lieder gesungen werden, erkennen sie, was sie schon länger spürten: Sie sind hier nicht mehr willkommen. Freunde vertrauen ihnen im Stillen an, dass sie nicht dieser Meinung sind, aber niemand bringt esüber sich,öffentlich etwas zu sagen. Resigniert verkaufen sie das Haus, den Betrieb und alles, was sie nicht mit auf die Reise nehmen können. Behalten dürfen sie ohnehin nur sehr, sehr wenig. Das Geld aus sämtlichen Verkäufen fällt dem Staat zu. Und auch das Engagement des Stadtauktionators, dem diese Ungerechtigkeit auffällt, kann daran nichtsändern. Sie dürfen nur dasübliche Reisegeld mitnehmen.
So machen sie sich mit dem Wenigsten auf nach Amsterdam zu Erna, die ihnen hilft, in der fremden Stadt Fuß zu fassen.
Es ist gar nicht so einfach, eine passende Wohnung für die beiden zu finden. Nicht etwa, weil die Ansprüche besonders hoch sind, sondern weil es mittlerweile sehr viele Flüchtlinge nach Amsterdam verschlagen hat. Drei Jahre sind sie in Amsterdam sicher, bis die Deutschen auch in die Niederlande einmarschieren.
Eduard, Bertha und Erna werden innerhalb von wenigen Monaten gefangen genommen, deportiert und in Vernichtungslagern ermordet. Siegfried erfährt erst Monate später, dass seine Elternüber das Lager Westerbork fortgebracht wurden. Er hält außer mit den Eltern auch mit seiner Tante mütterlicherseits Kontakt, die im Untergrund lebt. Von ihr erfährt er, wie schlimm die Dinge liegen.
Siegfried de Levie besucht Bersenbrück gut zwanzig Jahre nach Kriegsende. Aber die Menschen hier sind noch nicht bereit, sich mit den Geschehnissen zwischen 1933-1945 auseinanderzusetzen. Als sie es endlich tun und 60 Jahre nach Kriegsende eine Einladung zur Einweihung einer Gedenkstele ausgesprochen wird, nach Bersenbrück zu kommen, lehnt er ab.
Mit seiner Frau Edith hat er eine Tochter und lebt in der Nähe von Seattle.
Er stirbt mit 95 Jahren und hinterlässt eine Tochter, Enkel und Urenkel.
Die Geschwister Wexseler
Am 14. September 1870 wurden Hermann Wexseler und Rebecca Roberta Sander aus Westerkappeln durch den jüdischen Lehrer Wolf getraut. Als zukünftigen Wohnort gaben sie Bersenbrück an. Damit ist die Gründung der ersten jüdischen Familie in Bersenbrück beurkundet. Hermann Wexseler war als Schlachter und Handelsmann in Bersenbrück tätig. Nach vielen Wohnungswechseln in und um Bersenbrück erwarb er im August 1904 ein Haus mit Gartengrundstück an der Ankumer Straße Nr. 168, heute Nr. 23. Die Familie hatte fünf Kinder: Julius wurde 23.6.1871 in Bersenbrück geboren. 1899 ließ er sich als Textilkaufmann in Celle nieder. Das zweite Kind, Alexander, geb. im November 1872, starb im Alter von zwei Jahren. Es ist auf dem Friedhof in Badbergen-Grothe beerdigt. Tochter Lena (Helene) wurde am 13.8.1874 in Ankum geboren. Sie verließ früh das Elternhaus, arbeitete kurzzeitig in Hannover und war mit 22 Jahren ab 1896 als Hausangestellte bei ihrer Tante Friederika in Ibbenbüren tätig. Sie verstarb unverheiratet 1934 und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Ibbenbüren beerdigt.
Das vierte Kind der Familie Wexseler, Adolf, wurde am 9.12.1876 in Bokel geboren. Ob er in Bersenbrück oder am Wohnort der Tante in Ibbenbüren seinen Schulabschluss gemacht ist, ist ungewiss. Im Mai 1891 begann er als Vierzehnjähriger beim Buchhändler Eckhart in Quakenbrück eine Buchbinderlehre. Anschließend lebte er in Holzminden, bevor er noch vor dem ersten Weltkrieg nach Bersenbrück zurückkehrte. Das genaue Datum seiner Rückkehr ist nicht bekannt. Er liebte Bücher und verfügteüber hebräische Sprachkenntnisse.
Die jüngste Tochter Paulina (Paula) wurde am 26.3.1879 geboren. Nach Beendigung der Schulzeit verließ sie mit 14 Jahren Bersenbrück und arbeitete als Haustochter zuerst bei einer Familie in Quakenbrück, machte dann Station in Düsseldorf, Hannover und Norderney. Wahrscheinlich im Jahr 1909, nach dem Tode ihres Vaters, kehrte sie nach Bersenbrück in das elterliche Haus zurück. Ihre Mutter Rebecca starb 1912. Hermann und Rebecca Wexseler sind auf dem Friedhof in Badbergen-Grothe begraben. Von Paulina Wexseler existiert kein Foto. Ihre Nichte beschreibt sie "als eine zierliche Person, sie hatte wunderschönes welliges Haar".
Die Geschwister Adolf und Paulina Wexseler lebten gemeinsamüber 30 Jahre in ihrem Elternhaus an der Ankumer Straße. Sie waren also Kinder der ersten jüdischen Familie in Bersenbrück. Während Paulina den Haushalt führte, war Adolf Wexseler Kaufmann für Altwaren. 1914 wurde er als Soldat in den 1. Weltkrieg eingezogen, danach nahm er seinen Beruf wieder auf. Er handelte mit Silber, Münzen, kaufte Felle an und bearbeitete sie. Alle zwei bis drei Jahre besuchte er die Messe für Rauchwaren in Leipzig. Höhere Einnahmen und Ersparnisse hatte er nicht. Als Transportmittel besaß er ein Fahrrad mit Hilfsmotor. Während Paulina zurückgezogen lebte, hatte Adolf einen Freundeskreis in der Quakenbrücker Ortsgruppe des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten. Er wird noch in der Mitgliederliste vom 1.7.1938 aufgeführt. Paulina und Adolf waren sehr religiös. Den Sabbat feierten sie zuhause, und an den jüdischen Feiertagen fuhren sie zu ihrer Schwester Lena nach Ibbenbüren
Schriftstücke und Erinnerungen Bersenbrücker Bewohner belegen, dass die Geschwister in ihren letzten Jahren in Bersenbrück Ausgrenzung und Erniedrigung ausgesetzt waren. Nachdem Paulina Wexseler 1936 bei der Kreisverwaltung einen Antrag auf Erlaubnis zur Einstellung einer Haushaltshilfe eingereicht hatte, musste sie erleben, wie die Bestimmungen des "Gesetz(es) zum Schutz des Deutschen Blutes und der Deutschen Ehre" bei ihr ohne Berücksichtigung einer schweren Magenerkrankung durchgesetzt wurden. Ihr Antrag wurde abgelehnt.
Eine Emigration der Geschwister kam aus finanziellen Gründen nicht in Frage. Sie blieben bis zu ihrer Deportation im Dezember 1941 in ihrem Elternhaus an der Ankumer Straße. Ab dem 8.2.1939 musste Adolf den zusätzlichen Vornamen Israel annehmen.
Augenzeugen berichten, dass Paulina und Adolf Wexseler auchöffentlich gedemütigt wurden. Noch kurz vor ihrer Verhaftung mussten sie die Straße vor dem Gesundheitsamt (Eck Mittelstraße / Lindenstraße) fegen. Nachdem beide am 12.12.1941 von zwei Bersenbrücker Polizisten aus ihrem Haus abgeholt worden waren, fuhren sie mit dem Zug nach Osnabrück. Sie wurden mit andere jüdischen Menschen aus den Regionen Emsland und Osnabrück in einer Turnhalle am Pottgraben untergebracht. Am 13.12.194 brachte ein Zug sie nach Bielefeld. Das Gepäck wurde in separaten Gepäckwagen verstaut, die noch in Osnabrück wieder abgehängt wurden.
In Bielefeld stand ein Zug nach Riga bereit. Am darauffolgenden Tag begann ihre Deportation, der dreitägige Transport nach Riga/Lettland. Paulina und Adolf Wexseler lebten bis Anfang Februar im Ghetto von Riga. Während dieser Zeit wurde ihr Haus in Bersenbrück vom Deutschen Reich "entschädigungslos eingezogen". Am 13.7.1942 wird als Neubesitzer der Kreisamtsleiter ins Grundbuch eingetragen.
Paulina und Adolf Wexseler wurden im Rahmen der "Aktion Dünamünde" am 5.2.1942 im Hochwald von Riga erschossen.
Im Folgenden wird ein Einblick in den Ablauf der Stolpersteinverlegung in Bersenbrück am 23. Juni 2021 gegeben werden.
Verlegung von Stolpersteinen für die Geschwister Wexseler
13:20 Uhr: Zusammenkunft an der Ankumer Straße 23
Begrüßung durch den Sprecher des Initiativkreises, Bernhard Mecklenfeld
"In unserer Mitte sind viele Bürgerinnen und Bürger aus Bersenbrück und den übrigen Orten der Samtgemeinde sowie Repräsentanten von Kommunen, Kirchengemeinden und Vereinen und Schulen. ... Die Mitglieder des Initiativkreises sind dankbar für die große Unterstützung, die wir erfahren haben und auch heute erleben ... Besonders dankbar sind wir dafür, dass zur Verlegung der Stolpersteine der Künstler Gunter Demnig persönlich nach Bersenbrück gekommen ist." (Auszug)
Worte des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Osnabrück, Michael Grünberg
(Jüdisches Gebet)
"Erbarmungsvoller Gott, in den Höhen thronend, gewähren vollkommene Ruhe unter den Fittichen Deiner göttlichen Gegenwart in der Erhabenheit der Heiligen und Reinen, die im himmlischen Glanz leuchten, allen Seelen der sechs Millionen Juden, den Opfern der Schoa in Europa, die zur Heiligung des göttlichen Namens ermordet, hingeschlachtet oder verbrannt und vernichtet wurden in Auschwitz, Bergen-Belsen, Majdanek, Treblinka und in den übrigen Vernichtungslagern. Die ganze Gemeinde betet für die Erhebung ihrer Seelen. Deshalb wird der Herr des Erbarmens sie für ewig im Schutz Seiner Fittiche bergen und ihre Seelen in den Bund des Lebens aufnehmen. Der Ewige ist ihr Erbteil, im Garten Eden werden sie weilen, in Frieden auf ihrem Lager ruhen. Ihren Anteil werden sie am Ende der Tage bekommen, und wir sagen Amen."(Auszug)
Worte über das Leben von Paulina und Adolf Wexseler, vorgetragen von Johannes Bussler
Das Haus, vor dem wir stehen ist das Elternhaus von Adolf und Paulina Wexseler. Ihre Eltern Rebecca und Hermann haben hier mit ihnen und ihren Geschwistern gewohnt. Als das vierte Kind von Rebecca und Herman, trat der junge Adolf 1890 seine Buchbinderlehre in Quakenbrück an. Nach der erfolgreichen Prüfung verschlug es ihn in die Region Hannover, nach Holzminden. In der Region hatte sich auch sein älterer Bruder niedergelassen. Im ersten Weltkrieg wurde er als Soldat eingezogen. Nach vielen Wirren entschied er sich nach dem Ende des Krieges nach Bersenbrück in das von seiner Schwester bewohnte Haus seiner Kindheit zurückzukehren. Paula, das Nesthäkchen, verließ den Haushalt mit 14 Jahren und verdiente ihr Geld als Hausmädchen.
Ihre Arbeit führte sie in die Welt: nach Düsseldorf, Norderney und auch nach Hannover. Als der Vater 1909 verstirbt, kommt sie nach Hause zurück und verwahrt Haus und Hof. Als Adolf gut zehn Jahre später dazukommt, bilden sie eine einvernehmliche Hausgemeinschaft. Er kümmert sich um das Geschäftliche, und sie um den Haushalt. Ohnehin lebte Paula lieber zurückgezogen und ruhig. Da bildete Adolf mit seinen Freunden aus dem Bund der Jüdischen Frontsoldaten einen schönen Kontrast. Über die Zeit veränderte sich die Atmosphäre. Wenn es vorher noch viel zu tun gab für Adolf als Altwarenkaufmann, dann kamen mit der Zeit immer weniger Anfragen. Als es Paula gesundheitlich nicht mehr gut ging und sie den Haushalt nur noch sehr mühselig am Laufen hielt, beantragte sie 1936 eine Haushaltshilfe. Sie musste einen Extraantrag stellen. Weil sie keine jüdischen Haushalthilfen finden konnte, hätte sie eine arische Haushaltkraft beschäftigen müssen. Aber ihr Antrag wurde abgelehnt. Überhaupt wurden die öffentlichen Anfeindungen immer ärger, so dass die beiden Geschwister sich nur noch ungern nach draußen begaben. Noch kurz vor ihrer Deportation mussten sie sogar die Straße vor dem Gesundheitsamt (Ecke Mittelstraße/Lindenstraße) fegen. Unter dem Gegröle der Zuschauer. Das waren Bersenbrücker, die sie seit ihrer Kindheit kannten. 1941 wurden die Beiden von zwei Bersenbrücker Polizisten aus diesem Haus geführt. Sie wurden in einen Zug verladen und über weite Umwege nach Riga deportiert. Am 5. Februar 1941 wurden sie im Hochwald von Riga erschossen. "Ihr Name lebt." Deshalb stehen wir heute hier.
Musikalischer Beitrag des Gymnasiums Bersenbrück, Leitung: Hermann-Josef Suelmann
Instrumentalistinnen Noa Eichhorn und Elisa Meyer
Musikstück "Steht a bocher und er tracht/Tumbalalaika" (jiddische Volksweise)
"Ein Stein kann wachsen ohne Regen, eine Liebe kann brennen ohne Unterlass und ein Herz kann schlagen und weinen ohne Tränen."
Verlegung von Stolpersteinen für die Familie de Levie
13:50 Uhr: Zusammenkunft an der Bramscher Straße 25
Joachim Bussler spricht einige Worte über das Leben der Familie de Levie:
"Am Anfang war es Unhöflichkeit.
Jemandem nicht mehr die Hand geben.
Das Gefühl nicht erwünscht zu sein, schleicht sich ein.
Offene Feindseligkeiten folgen: ein schreckliches Lied nachts vor den Fenstern der schlafenden Familie gesungen.
Und dann die Entmenschlichung: Ein Angriff auf ein Mädchen auf ihrem Nachhauseweg.
Sie kennt die, die ihr auflauern. Sie sei weniger als ein wildes Tier. Ohne Recht sich hier zu Hause zu fühlen. Zu leben.
Als sie nach Hause kommt, hat sie nur einen Gedanken: Flucht. Sofort. Weg.
Innerhalb weniger Tage ist sie nicht mehr da.
Sie fährt mit dem Zug und landet in einer neuen Stadt.
Dort baut sie sich ein neues Leben auf.
Ihre Eltern folgen ein paar Jahre später. Auch sie bekommen unmissverständlich zu spüren, dass sie kein Recht haben, Bersenbrück ihr Zuhause zu nennen.
Aber auch in dieser neuen Stadt sind sie nicht sicher.
Ihr Bruder hat es geschafft. Er ist auf einem Dampfer nach Amerika.
Das ist das Haus der Familie de Levie.
Eduard und Bertha kauften es als sie das zweite Kind erwarteten. Zu viert haben sie hier gewohnt. Geschlafen, gegessen, gearbeitet und gesungen. Mit ihren Freunden im Garten gesessen und über Gott und die Welt geredet.
Irgendwann konnten ihre Freunde ihnen nicht mehr in die Augen schauen. Und obwohl einige ihnen im Privaten versicherten, dass das, was die Partei vorgebe, nicht richtig sei, verstummten die Stimmen im Öffentlichen.
Lasst uns diese Stimme sein. Und uns stets daran erinnern, dass es wichtig ist, für andere einzustehen - öffentlich - für Mitmenschlichkeit und Menschenrechte.
Die Stolpersteine sind glänzende Erinnerungshilfen, eingelassen zwischen den Fugen des Alltags, um immer wieder über sie zu stolpern. Stolpern bedeutet aufpassen. Aufpassen, dass sich so etwas nie wieder wiederholt."
Begegnungstreffen im Museum des Landkreises "Museum im Kloster"
Worte im Namen der Mitglieder des Initiativkreises von Andrea von der Haar / Jutta Stalfort:
Herzlichen Dank an alle, die das Anliegen des Initiativkreises unterstützen und unterstützt haben. Ich denke hier nicht nur an die finanzielle Unterstützung, die sehr wichtig ist für solch ein Projekt. Ich meine auch die Unterstützung, die wir durch Interesse, durch Ratschläge, Diskussionsbeiträge, durch Ermunterung und Zuspruch und auch durch organisatorische Hilfestellung erfahren haben. Herzlichen Dank an alle, die sich mit uns verbunden fühlen.
Ohne die finanzielle Unterstützung der Volksbank Osnabrück gäbe es keine Begleitbroschüre. Sie war uns sehr wichtig, um das Schicksal der Menschen, die im Nationalsozialismus gelitten haben oder ihm zum Opfer fielen, erzählen zu können. Ihr Schicksal soll uns eine Mahnung sein und ein Ansporn, uns für Menschenrechte und Demokratie einzusetzen.
Die finanzielle Zuwendung der Sparkasse Bersenbrück ermöglicht uns, eine Webseite zu erstellen. Wir möchten diese Webseite nach und nach ausbauen, damit sie Lehrern und Schüler:innen ein Ankerpunkt wird in der Erforschung der Jahre 1933 bis 1945 in unserer Region.
Die Ausstellung, die Sie hier im Museum im Blauen Salon sehen können, wurde ermöglicht durch eine Zuwendung aus dem Programm "Partnerschaft für Demokratie" in der Samtgemeinde Bersenbrück. Dass sie im Museum gezeigt wird, freut uns sehr.
Nicht zuletzt möchten wir uns bei der Stadt Bersenbrück ganz herzlich bedanken. Sie unterstütze uns nicht nur durch eine finanzielle Zuwendung, die diesen Empfang hier ermöglicht - und auch die noch zu erstellenden mehrsprachigen Flyer finanzieren wird. Sondern sie zeigte auch ermutigende Geschlossenheit in der Zustimmung zur Verlegung der Stolpersteine im Öffentlichen Raum.
Alle vier Fraktionen des Rates – die CDU- und SPD-Fraktion und auch die Fraktionen der Grünen und die der Unabhängigen - haben die Finanzierung je eines Stolpersteines übernommen. Einen weiteren Stolperstein übernahm die evangelisch-lutherische Bonnus-Gemeinde und die Kolpingsfamilie für die katholische St. Vincentius-Gemeinde.
Auszug aus den Worten des stellvertretenden Bürgermeisters der Stadt Bersenbrück Franz Buitmann
"Die Stolpersteine sollen dafür sorgen, dass die Opfer nicht vergessen werden. Die jetzt verlegten Stolpersteine sollen aber nicht dazu führen, dass man mit den Füßen darüber stolpert, sondern eben mit den Augen, sie machen aufmerksam, führen zum Nachdenken und damit dazu, sich mit dem Geschehen in der Zeit des Nationalsozialismus zu befassen. Vor allem auch sollen sie dazu beitragen, dass sich ein Denken, wie es die Nationalsozialisten propagierten, nicht erneut ausbreiten kann. In diesem Sinne wünsche und hoffe ich, dass auch hier in Bersenbrück die gerade verlegten Stolpersteine von vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern wahrgenommen werden." (Auszug)
Musikalischer Beitrag des Gymnasiums Bersenbrück: "Und als der Rebbe singt" (jiddische Volksweise)
Erfahrungsaustausch / Begegnung im Garten des Museums und in der Ausstellung "Euer Name lebt" im Museum im Kloster
Ausstellung im Rahmen der Stolpersteinverlegung
Die Ausstellung wurde im blauen Salon des Museums Bersenbrück gezeigt und kann an
Bildungseinrichtungen verliehen werden. Bitte wenden Sie sich an
B. Mecklenfeld oder
J. Stalfort.
- Am Sportgelände erinnert Kastanie an 8. Mai 1945. In: Bersenbrücker Kreisblatt vom 10.5.1995, o.S.
- Autorenteam: Die beiden Weltkriege und die ersten Nachkriegsjahre. In: 750 Jahre Rieste 1245-1995. Eine Chronik in Wort und Bild, Herausgeber Gemeinde Rieste 1994, S. 342-363.
- Bäumer, Herbert F.: Gedenkstein für Joseph Grzeskowiak. In: Osnabrücker Land 2014, S. 302.
- Bollmann, Vera, Büscher, Sabrina, Torbecke, Verena: "Die braunen Söhne der Pußta waren uns nie angenehme Besucher" - Das Leben der Zigeuner in den 20er Jahren am Beispiel einer Bersenbrücker Zigeunerfamilie, in: Schattenschicksale. Leben als Außenseiter im Altkreis Bersenbrück, hrsg. von Schüler/innen des Seminarfachs Geschichte "Historisches Forschen vor Ort" am Gymnasium Bersenbrück im Schuljahr 2015/16, S. 33-46.
- Böning, Heinrich, Meyer, Winfried: Sie mahnen zum Frieden. Ehrenmale und Gedenkstätten im Bersenbrücker Land (Zusammenstellung). Ankum 2014 (236 S.)
- Diephaus, Gerhard: Jüdische Mitbürger in Alfhausen und ihr Schicksal nach 1933. In: 1025 Jahre Gemeinde Alfhausen. Eine Chronik in Wort und Bild, hrsg. von der Gemeinde Alfhausen, Juni 2002, S. 51-62.
- Dobelmann, Werner: Land im Sturm. Der Krieg 1939-1945 im Kreise Bersenbrück. In: Mitteilungsheft Nr. 13 des Kreisheimatbundes (KHBB) 1965, S. 185-235.
- Gadeberg, Jürgen Peter: Das Quakenbrücker Gymnasium zwischen 1933 und 1945. In: Osnabrücker Land 2005, S. 144-166.
- Heile, Johanna, Holtkämper, Anna, Rehkamp, Melanie, Schmidt, Isabella: Ein Nichtort - direkt vor unserer Tür: geleugnete Nachbarschaft in Vehs im Herbst 1941, Bersenbrück 2013, (45 S.).
- Hoene, Otto zu: Vor 60 Jahren: das Kriegsende auf einem Gehöft bei Bersenbrück. In: Heimat-Jahrbuch Osnabrücker Land 2005, S. 102-109.
- Hoene, Otto zu: Eine irre Flut von Menschen. So endete der Krieg in Bersenbrück - Ein Augenzeugenbericht von Otto zu Hoene, Bersenbrücker Kreisblatt vom 22.4.1995, o. S.
- Joseph, Martin: Anne Frank und Peter van Pels. In: Heimat-Jahrbuch Osnabrücker Land 2010, S. 272-277.
- Joseph, Martin: "... ob den Juden das Baden in der Badeanstalt verboten werden soll". Ein schändlicher Verwaltungsvorgang aus dem Jahre 1935. In: Heimat-Jahrbuch Osnabrücker Land 2011, S. 185-186.
- Kemper, Franz: Was für ein Leben. Franz Kemper erinnert sich, insb. Teil 2: Die Zeit des Zweiten Weltkrieges, hrsg. vom Heimat- und Verkehrsverein Ankum e. V. und Heimatverein Bersenbrück, Ankum 2001.
- Liere, Heinz: Erinnerungen an Kinderjahre im Krieg - Was in Talge und Umgebung geschah. Heimat-Jahrbuch Osnabrücker Land 2005, S. 114-129.
- Meißner, Horst Alfons: Staatsdiener im Dritten Reich: Die Landräte des heutigen Landkreises Osnabrück während der Hitler-Diktatur 1933-1945. Ein Beitrag zur Geschichte des Osnabrücker Landes. Münster: Aschendorff-Verlag 2015.
- Menke, Birgit: Die Endphase der Weimarer Republik und die nationalsozialistische Machtergreifung im Kreis Bersenbrück. Münster 1987.
- Monke, Fritz: Ein Berliner Steppke entdeckt das Landleben - als Zehnjähriger im Nachkriegsgehrde. In: Heimat-Jahrbuch Osnabrücker Land 2013, S. 150.
- Nieberg, Johanne: Dunkle Wolken über dem Land. Erinnerungen von Augenzeugen und einige wenige Aufzeichnungen der Kriegsereignisse in und rund um das Dorf Ankum. Niedergeschrieben und in eigene Worte gefasst. Ankum 2011.
- Peters, Josef (Hrsg.): Aus jenen Tagen. Nationalsozialismus und 2. Weltkrieg in Bersenbrück. Zeitzeugen erzählen. Hrsg. von der Volkshochschule Osnabrücker Land, o. O. [ca. 2005].
- Peters, Josef (Hrsg.): Aus jenen Tagen, Band 2: Kriegs und Nachkriegszeit in Bersenbrück. Zeitzeugen erzählen. Hrsg. von der Volkshochschule Osnabrücker Land, Außenstelle Bersenbrück, o. O. [ca. 2009].
- Przygode, Dieter: Die verschwundenen Kinder von Bramsche. In: Osnabrücker Land 2020, S. 214-220.
- Rademacher, Michael: Die Kreisleiter der NSDAP im Gau Weser-Ems. Marburg 2005 (Diss. Universität Osnabrück 2005) (405 S.).
- Reischel, Eugen: "Klawes Jopp" der Waldmensch von Ankum. Geburt, Leben und Sterben im wesentlichen amtlich erforscht von Eugen Reischel (Kopie) Bibliothek Kreisheimatbund.
- Stalfort, Jutta: "Ich habe gedacht, ich sei eine schlechte Deutsche": Zeitzeugengespräch mit Irma Geers (geb. 1926) am 30 April 2016 in der VHS Marktschule Bersenbrück. In: Osnabrücker Land 2018, S. 189-192.
- Stalfort, Jutta:"Vergangenheit, die noch lebendig in mir ist": ein Zeitzeugengespräch mit Frau Maria von Borries in der von-Ravensberg-Schule in Bersenbrück. In: Osnabrücker Land 2017, S. 303-306.
- von Borries, Maria: Euer Name lebt. Zur Geschichte der Juden in der Region Bersenbrück, Bramsche 1997 (407 S.).
- Wefer, Norbert: Der Aufstieg der NSDAP im Kreis Bersenbrück. Wahlen und Analysen 1919-1933. Alfhausen-Thiene: Selbstverl., 1986 (239 S.).
- Wegmann, Günter: Das Kriegsende zwischen Ems und Weser 1945, Osnabrück 1983 (Osnabrücker Geschichtsquellen und Forschungen, Band 23).
Arbeitskreis Geschichte der Juden in der Samtgemeinde Bersenbrück
Bernhard Mecklenfeld (Vorsitzender)
bernhard.mecklenfeld@osnanet.de
Wenn Sie das Engagement des Arbeitskreises Geschichte der Juden in der Samtgemeinde Bersenbrück unterstützen möchten, freuen wir uns.
B. Mecklenfeld
Sparkasse Bersenbrück, IBAN: DE38 2655 1540 3460 3041 85
- den Fraktionen aller im Bersenbrücker Rat vertretenen Parteien (CDU, SPD, Die Grünen/Bündnis 90, UWG)
- der Evangelisch-lutherischen Bonnus-Kirchengemeinde Bersenbrück
- der Kolpingsfamilie Bersenbrück